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Shiatsu - die Kunst das Unausgesprochene zu berühren

Wenn alles mit allem kommuniziert

Erkläre in 10 Sekunden womit du der Welt dienst. Elevatorpitch nennt die Marketingwelt das. In der Zeit die ein Aufzug vom 1. bis zum 10 Stockwerk braucht, sollte IMMER reichen, einem fremden Menschen erklären zu können was du machst. Bei Shiatsu funktioniert das nicht. Sprache ist fast nicht dafür ausgelegt wirklich verständlich in Worten zu erklären, was Shiatsu kann und wie es sich anfühlt. Und trotzdem würden so viele Menschen gerne wissen was Shiatsu ist, bevor sie zu mir auf die Matte kommen. Also versuche ich mein Glück hier im Blog.

In der Stille tritt von selbst zutage, was wahrhaftig ist

Natürlich wird vor einer Shiatsu-Einheit gesprochen. Vielleicht frage ich, was denn der Körper mitgebracht hat und ob er irgendwo schmerzt und blockiert. Ab dann höre ich zu. Nicht mit den Ohren. Mit meinem ganzen Körper. Indem ich vollkommen geerdet bin und ganz präsent im jetzigen Moment lasse ich mich in mein Zuhörzentrum fallen und dehne mich von da im ganzen Raum aus. In diese Blase nehme ich meine Klienten mit hinein und lausche über meinen ganzen Körper dem Körper des Klienten. Was dann beginnt ist Zuhören ohne etwas zu erwarten oder bewirken zu wollen. Es ist erforschen und erschauen. Der Körper des Klienten zieht mich ganz selbstverständlich an die Stelle, an der er berührt werden möchte. Und genau an dieser einen Stelle beginnt eine Reise durch die mir fremde Körperlandschaft. Vielleicht ist das die linke Schulter. Sie möchte sanft aber mit Nachdruck geerdet werden. Also lehne ich mich mit meinem Gewicht auf die Schulter. Der Körper des Klienten reagiert prompt und atmet tief ein und aus. Befreiung wovon auch immer. Jetzt will der Arm vielleicht aus dem Schultergelenk gezogen werden und wünscht sich Erleichterung. Dabei bemerke ich eine Starre im Arm. Es scheint nicht möglich den Arm locker zu lassen. Ich helfe ganz sanft nach. Drehe und dehne. Löse durch leichtes Schütteln. Und dann plötzlich verschwindet die Starre. Der Arm ist locker und der Körper erfährt vielleicht seit langem seine ursprüngliche Beweglichkeit und erinnert sich wieder wie groß der Radius ist, den eine lockere Schulter im Gelenk drehen kann.

Ich verlasse den Arm und wende mich dem Rumpf zu. Hier treffe ich vielleicht auf eine ähnliche Starre. Es fühlt sich an als sei der ganze Körper unter Zwang nach vorn ausgerichtet. Nicht rechts und links schauen nur nach vorn. Ich "höre" das und erkenne das an. Die Starre hat zu irgendetwas gedient. Und sie hat sich auch so sehr eingedrückt in den Körper, dass sie für die typischen Verspannungssymptome sorgt: Kopfschmerz, Rückenschmerz, Müdigkeit, Knirschen der Zähne, Unruhe oder Bluthochdruck durch viel zu flache Atmung.

Die Kunst nichts verändern zu wollen

Wäre ich jetzt etwas anders als Shiatsu-Praktikerin, würde ich vielleicht erlösen wollen. Kneten und drücken. Heilen wollen. Stattdessen biete ich dem Körper erstmal nur Weite über den Raum an. Ohne Worte zeige ich energetisch wie leicht es ist, sich auszudehnen. Ich dehne mich selbst aus und mache dem Körper des Klienten das Angebot in meinem Schutz auch ein wenig in die Ausdehnung zu gehen. Während ich das tue, wandere ich mit spürbarem Druck den Magenmeridian entlang. "Du bist hier sicher" ist meine stille Einladung. Und irgendwann dann sagt die Hüfte "hey komm, beweg mich. Öffne mich und gib mir Raum". Und dann kann ich weiter dehnen. Das Bein aus dem Hüftgelenk ziehen und kreisen lassen. Nach einer Stunde ist der Körper mit dem ich "arbeite" entspannt. "Ich bin jetzt irgendwie wieder verbunden. Alles gehört wieder zu mir. Ich spüre mich ganz" - das höre ich ganz oft nach einer Shiatsu-Einheit.

Berührung erlöst wortlos

Wenn ich im Nachgespräch dann meine Erlebnisse mit dem Klienten teile ist das immer ein wenig wie das dekodieren einer Geheimsprache. Ich gebe wieder was der Körper mir gezeigt hat. Im oben genannten Fall die starre Ausrichtung nach vorn und der tiefe Wunsch zu kontrollieren. Nicht selten kommt dann ein Erlebnis in das Bewusstsein der Klientin, das zu dieser Starre passt. Und dann bemerkt sie vielleicht, dass sie diese Starre gar nicht mehr braucht. Dass sie ihre gedient hat den Fokus zu halten. Auf den Beinen zu bleiben und durch eine schwierige Situation zu gehen. Der Körper hat aber gar nicht bemerkt, dass die Situation längst vorbei ist und hat sich in der Starre verfestigt. Und so kann es durchaus geschehen, dass wie von Zauberhand viele der mitgebrachten Beschwerden verflogen sind.

Was also wirkt so erlösend im Shiatsu?

Es ist die Kunst alles was wir als Shiatsu-Praktizierende lernen - und das ist viel und tiefe TCM-Theorie und dauert Jahre - im Moment der Sitzung mit einem Klienten ganz zu vergessen und einzig in eine Präsenz im Kontakt mit der anderen Person zu kommen. Ganz da sein. Nur so kann ich ohne Worte hören, was der Körper vor mir wirklich braucht. Das ist möglicherweise etwas ganz anderes als der Klient zuvor mit Verstandsworten beschrieben hat. Und nur in dieser tiefen Präsenz kann ich eingehen, auf dieses Körperbedürfnis. Das Wissen um die Meridiane und deren Analogie zu "Beschwerden" oder "Symptomen", fließt dann aus mir heraus und mit ein. Aber vollkommen ungerichtet und ohne Absicht. Und obwohl ich bewege und dehne, drücke und ausstreiche ist es doch so, dass ich nichts tun muss, weil alles von selbst geschieht. Über die Weisheit zweier Körper, die sich in Präsenz, Achtsamkeit und höchster Wertschätzung für einen kurzen und intensiven Moment begegnen.

Was ist meine eigene Erkenntnis nach vielen Jahren der Arbeit mit Shiatsu?

Für mich ist es eine der sanftesten und effektivsten Therapiemethoden für Körperbeschwerden und auch psychische Beschwerden. Ich darf beobachten wie schwer depressive Menschen nach regelmäßger Anwendung von Shiatsu wieder in die Freude kommen. Sogar das Motorrad besteigen und alleine kleine Touren unternehmen. Ich darf zusehen, wie körperliche Bewerden abklingen, für die kein Arzt eine Heilung gefunden hat. Einfach so. Nur durch Berührung. Ich darf erleben wie Kinder ruhiger werden und besser lernen können. Und ich darf mich selbst immer wieder neu erfahren in jeder Behandlung. Denn nur wenn ich entspannt und präsent bin kann Heilung geschehen. Das ist die wirkliche Kunst von Shiatsu. Zuerst geht es mir gut. In meinem Heilsein kannst du dann heilen.

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